19. Oktober 2025 | Marathon-News

Nazira und Nazima und ihre inspirierende Geschichte

Die beiden afghanischen Schwestern gehen über 42,195 Kilometer an den Start – all den Widrigkeiten durch Flut, Krankheit und drohender Abschiebung zum Trotz.

 

Die Lebensgeschichte dieser beiden Schwestern handelt viel von unverbrüchlichem Willen, nicht unterkriegender Zuversicht trotz aller Widerstände und der enormen Kraft des Sports. Dass sie nun am 26. Oktober gemeinsam an der Startlinie des Mainova Frankfurt Marathon stehen, ist, angesichts dessen, was sie in den vergangenen Jahren erlebt haben, nichts weniger als ein Wunder. Dass Nazira und Nazima Khairzad als Frauen in Afghanistan überhaupt Leistungssport betrieben, verdanken sie ihrer Beharrlichkeit. Dass sie die Flucht meisterten, die Familie wiedervereinigten und sich nun ein neues Leben in Deutschland aufbauen, ist Ausweis ihrer Stärke.

 

„Laufen bedeutet für uns Freiheit,“ sagt Nazima, mit 23 Jahren die ältere der beiden. Eine Freiheit, die sich daheim in der afghanischen Provinz Bamiyan schwer erkämpften – und die es nach der Rückkehr der Taliban an die Macht 2021 schlagartig nicht mehr gab. Es gibt Bilder von Nazira, bei der sie nach Rennen ganz oben auf dem Treppchen steht und dabei ihr Gesicht verhüllt. Denn selbst ihren Eltern verschwiegen die Schwestern zunächst ihre Sportleidenschaft. Bis es nicht mehr ging, weil Nazima eine erfolgreiche Skirennläuferin und Bergsteigerin geworden war. Und Nazira sogar Torfrau der afghanischen Frauenfußball-Nationalmannschaft wurde. Je zwei Mal haben die Schwestern in Afghanistan einen (bergigen) Marathon bewältigt, zum Teil in Sandalen und langen Klamotten.

 

Nach der Rückkehr der Taliban musste die Familie Khairzad um Leib und Leben fürchten – und entschloss sich zur Flucht. Im damaligen blutigen Chaos wurde die Familie getrennt, Nazira landete in Italien, der Rest inklusive zweier Brüder über Pakistan letztendlich in Deutschland. In und um das hessische Hanau haben sie sich eine neue Existenz aufgebaut, erst seit Anfang 2024 auch mit Nazira. Die beiden Schwestern, die eine sehr enge Beziehung haben, litten sehr unter der Trennung voneinander. Und doch hielt das Leben eine weitere existenzielle Herausforderung für sie bereit: Bei Nazima wurde ein Tumor im Gehirn festgestellt. Zwei Operationen waren nötig und Nazima saß zunächst im Rollstuhl, etwas später benötigte sie „nur“ noch einen Rollator, um sich fortzubewegenden. Doch seit einer Weile läuft sie buchstäblich wieder. Ihre Teilnahme am Firmenlauf J.P. Morgan Corporate Challenge mit Zehntausenden Teilnehmern in Frankfurt im Juni, war ein bedeutender Meilenstein für sie. Dennoch habe sie „nach wie vor Probleme mit meiner rechten Körperseite“, erzählt Nazima. Die volle Marathondistanz kommt daher für sie zu früh, sie will schauen, für wie viele Kilometer es für sie reicht – und natürlich das gemeinsame Erlebnis auf Frankfurter Straßen mit ihrer Schwester genießen.

 

„Das wird sehr schön und aufregend für uns werden“, sagt Nazira. Die 21-Jährige trainiert seit Monaten gewissenhaft dem Mainova Frankfurt Marathon entgegen. Zusätzlich zu den Übungseinheiten und den Spielen als Torhüterin des Hauner Vereins 1. FC Mittelbuchen. Bei 10-Kilometer-Wettkämpfen schaffte sie Zeiten unter 47 Minuten.

 

Die Schwestern finden immer noch Energie, auf das Los der Frauen in Afghanistan aufmerksam zu machen. Dass sie nicht mehr eine weiterführende Schule besuchen und nicht arbeiten und erst recht keinen Sport ausüben dürfen. Von den wenigen Athletinnen, die es damals neben ihnen gab, wissen sie, dass diese mittlerweile wie in einem Gefängnis daheim leben.

 

Und doch ist auch das Familienglück der Khairzads abermals bedroht. Nazira droht die Abschiebung aus Deutschland – nach Italien, dem Land, dass ihr nach der Flucht zuerst Aufenthaltsrecht gewährte. Mit Hilfe einer Anwältin versucht sie, dies zu verhindern – Ausgang ungewiss. „Meine Familie ist das, was mir in schwierigen Zeiten immer wieder Kraft gegeben hat“, sagt Nazira. „Meine Familie und der Sport.“

Nazira und Nazima und ihre inspirierende Geschichte