2. November 2022 | Marathon-News

World Marathon Majors: Von der Formel 1 des Laufsports zum Jogging-Verbund?

Schaut man vier Tage vor dem New York-Marathon am kommenden Sonntag auf die Webseite der World Marathon Majors (www.worldmarathonmajors.com), kommt man nicht auf die Idee, dass am kommenden Wochenende das finale Rennen dieser hochkarätigen Marathon-Serie stattfinden könnte. Denn es findet sich dazu bisher kein Wort. Der Termin des New York-Marathons ist nicht ersichtlich und eine Übersicht der Daten der Serie der World Marathons Majors (WMM), zu der auch Berlin, Boston, Chicago, London und Tokio gehören, ist offenbar abhanden gekommen.

 

Zu lesen ist auf der WMM-Seite aber die Meldung aus dem September, in der mitgeteilt wird, dass das Preisgeld für die Serien-Sieger der beiden Rollstuhl-Wertungen (Männer und Frauen) auf 50.000 US-Dollar angehoben wird. Und nun, so teilen die Veranstalter mit, verdienen die Sieger der Rollstuhlfahrer genauso viel wie die der Läufer. Mit dem Thema Gleichberechtigung (das aber aus verschiedenen Gründen in diesem Fall gravierend hinkt, denn zum Beispiel gibt es nur eine Hand voll Rollstuhlfahrer, die die Siege unter sich ausmachen) haben die World Marathon Majors geschickt die eigentliche Nachricht versteckt: Das WMM-Sieggeld für die Läufer wurde nämlich um 80 Prozent (!) reduziert, von 250.000 auf eben 50.000 US-Dollar. Erst vor gut fünf Jahren war es schon einmal halbiert worden, von der ursprünglichen Summe von 500.000 auf dann 250.000 US-Dollar. Verglichen zur halben Million sind also jetzt nur noch 10 Prozent übrig.

 

Kurz vor seinem Sieg beim Berlin-Marathon, wo Eliud Kipchoge Ende September mit 2:01:09 Stunden einen Weltrekord aufstellte und sich damit – auch diese Information fehlt übrigens auf der WMM-Webseite – an die Spitze der aktuellen Serien-Wertung setzte, durfte der Kenianer noch davon ausgehen, eine gute Chance zu haben, am Ende eine Prämie von 250.000 US-Dollar zu erhalten. Plötzlich und mitten in der Serie sind es nur noch 50.000.

 

Schon einmal gab es eine ähnliche Änderung, die man als unfair gegenüber den Athleten einstufen muss. Nachdem es sich bei den WMM-Serien anfangs um zweijährige Serien handelte, die aber jährlich neu starteten und somit jeweils ein Jahr überlappten, wurde daraus ab 2015 eine einjährige Serie. Die angefangene Serie 2014-2015 wurde damals abgebrochen. Einen finanziellen Ausgleich für die Athleten, die bereits ein Jahr lang bei sechs Rennen Punkte für diese Serie gesammelt hatten, gab es jedoch nicht. Es ging um eine halbe Million US-Dollar, die jeweils an Sieger und Siegerin ausgeschüttet werden sollte.

 

Für die absoluten Topstars der Szene dürfte die WMM-Wertung zukünftig keine große Rolle mehr spielen. Andere finanzkräftige Rennen, wie zum Beispiel Valencia, wo Anfang Dezember die Äthiopierin Letesenbet Gidey den Weltrekord angreifen will, oder Dubai könnten davon profitieren. Denn sie werden jetzt interessanter für die Stars.

 

Als die ursprünglichen fünf Rennen bei der Gründung ihrer Serie eine Prämie von einer Million US-Dollar auslobten, die sich der beste Läufer und die beste Läuferin teilten, sorgte das damals weltweit für Aufsehen. Wer die Serie seit dieser Gründung Anfang 2006 verfolgt hat, fragt sich, wie so ein ambitioniertes Projekt und eine glänzende Idee der damals Beteiligten so derart schief gehen konnte.

 

„Dies ist eine der bedeutendsten Veränderungen in der Geschichte unseres Sportes. Die WMM-Serie ist der Start einer neuen Ära des Sportes“, sagte 2006 Dave Bedford, der langjährige Race-Direktor des London-Marathons und frühere Weltklasseläufer. Sein Pendant in Boston, Guy Morse, sprach von einem sporthistorischen Ereignis, und die Race-Direktorin des New York-Marathons, Mary Wittenberg, verglich die neue WMM-Serie mit den bedeutendsten Tennisturnieren der Welt in Wimbledon, Paris und New York oder auch mit den US- und den British Open im Golf. Die Euphorie war groß, das Medieninteresse erstaunlich und die Anfänge vielversprechend. Doch ein Problem ist wohl, dass die drei genannten Race-Direktoren, die gemeinsam mit dem Chicagoer Carey Pinkowski und dem Berliner Mark Milde die WMM-Gründungsmitglieder waren, schon einige Jahre nicht mehr dabei sind. Seitdem wurden immer mehr Regeln und Details der unübersichtlichen Serie verändert. Eine regelmäßige und zuverlässige Öffentlichkeitsarbeit ist zudem schon lange nicht mehr zu erkennen.

 

Seit dem Tod des amerikanischen Laufsport-Statistikers Marty Post 2019, der für die WMM-Serie tätig war, fehlen teilweise grundlegende Daten auf der Webseite und die Aktualisierungen von Basis-Informationen dauern in manchen Fällen Wochen. Wer wissen möchte, bei welchen Rennen Eliud Kipchoge in diesem Jahr seine Maximal-Punktzahl von 50 Punkten gesammelt hat, wird dies ebensowenig finden wie die erwähnten Daten der Serie – unvorstellbar für zum Beispiel die Webseite der Formel 1 (www.formula1.com), mit der die WMM-Serie bei der Gründung aufgrund des Punkte-Systems auch verglichen wurde.

 

Was allerdings bei den World Marathon Majors funktioniert, ist ein Aspekt, der am Anfang gar keine Rolle spielte im Konzept des Zusammenschlusses: Die Masse der Läufer nimmt die WMM-Rennen an, was aufgrund der hohen Startgeldkosten bei diesen Veranstaltungen natürlich auch finanziell sehr interessant ist. Die Kreation der „Six Star Finisher Medal“ ist ein Erfolg. Diese besondere Plakette erhalten Läufer, die bei allen sechs Rennen ins Ziel gekommen sind.

 

Die Frage ist allerdings, wie man das Konzept adaptiert, wenn in der Zukunft ein siebentes und vielleicht achtes Rennen hinzukommen könnten. Im Gespräch ist seit einiger Zeit ein Rennen in China, was sicherlich mit dem chinesischen Sponsor „Wanda“ zusammenhängt, und inzwischen auch der Sydney-Marathon. Die „Six Star Finisher Medal“ würde dann ihren Wert verlieren.

 

Eines der letzten Karriere-Ziele von Eliud Kipchoge ist es, als erster Läufer alle sechs WMM-Rennen zu gewinnen. Dem Kenianer fehlen in seiner Sammlung noch Boston und New York. Starts in China oder Australien dürften den besten Marathonläufer aller Zeiten aber kaum noch reizen.

 

Text: race-news-service.com

Foto: photorun.net

Das waren noch Zeiten: Als Irina Mikitenko und der zwischenzeitlich ums Leben gekommene kenianische Olympiasieger Sammy Wanjiru 2009 die World Marathon Majors-Serie gewannen, wurde noch ein Preisgeld von einer Million US-Dollar ausgeschüttet. Jetzt sind es plötzlich nur noch 10 Prozent dieser ursprünglichen Summe. | Foto: www.photorun.net